Warum eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg auch anstrengend werden kann & warum das sogar gut ist – über Erwartungen & den Umgang mit Enttäuschungen beim Pilgern
Ursprünglich veröffentlicht: April 2020, Aktualisiert: Mai 2025
„Leben ist das, was passiert, während man dabei ist, andere Pläne zu machen.“
Dieses bekannte Zitat von John Lennon kann man sicherlich in vielen Lebenssituationen zurate ziehen – und zuweilen auch auf dem Jakobsweg!
Denn wenn du mehrere Wochen pilgern gehst, wird höchstwahrscheinlich nicht immer alles glatt und nach Plan laufen.
Und vielleicht entstehen bei dir nun – verständlicherweise – Gefühle von Enttäuschung, Frust, Ängstlichkeit, Verunsicherung, Traurigkeit oder gar Wut. Weil es nicht so gelaufen ist, wie du es gewünscht, gehofft und erwartet hattest.
Wenn die Pilgerreise anders läuft als erwartet – meine Erfahrungen
In diesem Artikel möchte ich dir aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass dir solche Situationen auch auf deiner Pilgerreise passieren können
Und ich möchte teilen, wie ich gelernt habe – und immer noch lerne – damit umzugehen.
Ich habe es selbst einige Male erlebt.
Und es hat sich im ersten Moment oft angefühlt, wie ein Schlag ins Gesicht.
- Bei meiner ersten Pilgerreise bekam ich nach den ersten Tagen so starke Rückenschmerzen und kam körperlich so an meine Grenzen, dass ich meinen Jakobsweg mehrmals für Pausentage unterbrechen musste, weil an Gehen nicht mehr zu denken war
- Bei meiner ersten Pilgerreise im März stand ich einmal völlig überraschend vor verschlossener Türe vor einer der Herbergen am Jakobsweg, die aus persönlichen Gründen geschlossen war, und es war nicht mehr lange bis Sonnenuntergang und viele Kilometer bis zur nächsten Herberge oder zurück zur letzten, sodass ich ordentlich Herzklopfen und Schweißausbrüche bekam
- ein anderes Mal spielte das Wetter mal so gar nicht mit und ich geriet in Galizien in einen heftigen andauernden Regenschauer und die nächste Ortschaft war noch 2 oder 3 Stunden Fußmarsch entfernt. (In dem Fall kann man zumindest hoffen, dass man auf seiner Packliste dem Punkt Regenschutz genug Bedeutung zugemessen hatte, doch selbst dann ist man irgendwann einfach nur noch nass und friert).
- Bei meiner zweiten Pilgerreise kam ich im Hochsommer in Irun auf dem Camino del Norte an, hatte mit Ruhe und nur wenigen Pilgern auf dieser „Nebenroute“ gerechnet, und war schockiert und bedient, als ich die Wuselei in der vollen Herberge sah und gerade noch ein Bett bekommen konnte
- Bei der Rückkehr von meiner ersten Pilgerreise aus der Natur des Jakobswegs in den Alltag in der Großstadt Zuhause bekam ich einen regelrechten Kulturschock, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte, und fiel einige Tage in ein Riesenloch, wovon ich in diesem Video erzähle

Dies sind nur ein paar Beispiele dafür, wo mir auf dem Jakobsweg Dinge passiert sind, mit denen ich nicht gerechnet hatte.
Ich beschreibe diese Situationen – neben den vielen schönen Momenten – ausführlich in meinem Reisebericht vom Küstenweg.
Und auch in diesem Erfahrungsbericht über Pilgerherbergen habe ich ehrlich meine positiven sowie negativen Erfahrungen vom Jakobsweg niedergeschrieben.
Auch dir können – und werden wahrscheinlich – hier und da Dinge passieren, die du nicht erwartet hattest und die erstmal nicht schön sind.
Ich möchte diesen Artikel nicht schreiben, um dir die Vorfreude zu nehmen oder gar Angst zu schüren. Das ist nicht im Geringsten meine Absicht!
Freu dich auf deinen Jakobsweg, und gehe ihn mit Zuversicht!
Ich schreibe diesen Artikel, um dir vielleicht ein, zwei Impulse aus meiner eigenen Pilgererfahrung mitzugeben, damit – falls dir mal eine ähnliche Situation passiert – du damit besser zurechtkommst und schneller verstehst, was los ist.
Und ich schreibe diesen Artikel auch, um dich zu sensibilisieren für deine – womöglich – naiven Erwartungen. Ja, ich möchte sogar sagen: Scheiß auf deine Erwartungen.
Scheiß auf deine Erwartungen
Wenn du glaubst, dass drei, vier oder fünf Wochen Jakobsweg ein reiner Wellness-Urlaub sind, eine Serie von reinen Sonnenscheintagen ohne jede Wolke oder Regen, ohne jeden körperlichen oder psychischen Schmerz, dann bist du höchstwahrscheinlich auf dem Holzweg.
„Mit Erwartungen zu leben ist gefährlich.“
Versteh mich nicht falsch. Der Jakobsweg wird dir helfen, näher bei dir anzukommen – egal, ob du in Spanien pilgerst auf einem der bekannten Jakobsweg-Routen, oder auf dem trendigen portugiesischen Jakobsweg.
Ja, du wirst auftanken unterwegs. Ja, du wirst eine verdammt tolle Zeit haben und mehr über dich erfahren und du wirst vielleicht sogar im Anschluss sagen: Diese Reise war eine der besten Erfahrungen meines Lebens!
Ich möchte nur sagen: Das alles kommt nicht einfach so, das alles hat seinen Preis.
Die allermeisten Menschen, die pilgern gehen, machen unterwegs schwierige Situationen durch und kommen an Grenzen, bevor es dann wieder schön wird, noch schöner als zuvor.
Das ging nicht nur mir so, das erzählen auch die vielen Pilgerinnen, die mir für das eBook „Alleine als Frau auf den Jakobsweg“ Einblicke in ihre Reiseerlebnisse gegeben haben.
Es ist normal. Und ich will sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: Es kann sogar gut sein.
Die Frage ist: Wie kann ich damit umgehen?
Was du tun kannst, wenn der Jakobsweg dich enttäuscht
a) Den für dich jetzt passenden Weg finden, mit der Situation umzugehen
So kannst du verarbeiten und überhaupt verstehen, was passiert ist. Das kann je nach Situation und Charakter ganz anders aussehen:
- Für manche und manchmal kann es gut sein, einfach viele Kilometer zu laufen und regelrecht den Schmerz aus dem Körper „herauszulaufen“
- Für manche und manchmal kann es helfen, sich einem MitpilgerIn anzuvertrauen im Gespräch
- Für andere oder in anderen Situationen kann es hilfreich sein, inne zu halten in der Natur, sich für eine Weile an einen sich gut fühlenden Ort zu setzen und innerlich still zu werden, eben nicht mehr zu laufen, sondern einfach zu warten, bis Antworten von Innen kommen. Hierbei kann das Aufschreiben von Gedanken im Tagebuch zusätzlich helfen
b) Annehmen, was ist, statt in Widerstand mit der Situation gehen
Auch wenn es super schwer fällt:
- Mach dir klar: Die Situation ist sowieso schon so, wie sie ist, ob du nun innerlich dagegen ankämpfst oder nicht. Im Widerstand verlierst du nur noch mehr Energie. Versuche in eine Zustimmung zu kommen und zu erlauben, was ist, ohne zu bewerten. Lade den Schmerz ein und heiße ihn willkommen.
- Im Wort Ent-Täuschung steckt bereits drin, dass du dich getäuscht hast mit deiner Erwartung. Nun ist die Zeit, dir das einzugestehen. Der spirituelle Lehrer Eckart Tolle hat dazu ein tolles Video gemacht, sein Buch „Jetzt – Die Kraft der Gegenwart“ kann ich auch empfehlen.
c) Frag dich: Was kann ich daraus lernen & wofür könnte das gut sein, statt: warum passiert mir das?
So kriegst du einen konstruktiven Blick auf die Situation. In meinen oben genannten Erfahrungen war es zum Beispiel so, dass ich über die Enttäuschungen lernen konnte über mich:
- Die Rückenschmerzen waren ein Zeichen dafür, dass ich äußerlich wie innerlich zu viel Gepäck mit mir herum schleppte, daraufhin ließ ich einige Packstücke sowie einen überfordernden Job daheim los.
- Die verschlossene Herbergstüre zwang mich, zur letzten Unterkunft zurückzugehen. Dort begegnete ich ein paar tollen Menschen, die ich sonst nicht kennengelernt hätte
- Der unerwartet volle Jakobsweg im Hochsommer konfrontierte mich mit den vielen Mitpilgern und zwang mich, weit mehr mit anderen zu interagieren als ich ursprünglich vorhatte. Rückblickend gesehen konnte ich dadurch einiges über Menschen und mich lernen, z.B. dass Menschen oft nicht so sind, wie man sie im ersten Augenblick einschätzt, oder auch, dass ich lernen konnte, wann ich alleine pilgern und wann ich mit jemandem zusammenlaufen wollte
- Der Kulturschock nach der Rückkehr lehrte mich das Leben als Pendel zu sehen, wo es neben Licht auch Schatten gibt, und zu merken, wie wichtig mir Natur ist
Tipp: In meinem Onlinekurs zum inneren Pilgern gehe ich noch mehr ins Detail und gebe dir viele wertvolle Impulse für deine innere Reise mit auf den Weg!
Deine Meinung?
Ich bin gespannt, wie dir dieser Artikel gefallen hat & freue mich über einen kurzen Kommentar oder eine Email. Ich möchte auf diesem Blog bewusst nicht nur über die Sonnenseiten des Pilgerns schreiben.
Ich möchte kein Bild vom Jakobsweg in deinem Kopf erzeugen, das fern von der Realität ist, sondern neben den schönen Dingen auch über Dinge schreiben, die nicht einfach sind. Denn der Jakobsweg ist – wie das Leben – Sonne und Regen.
Daher meine Frage an dich: Gefällt dir das oder möchtest du nur positive, motivierende Artikel hier lesen? Und wenn du schon pilgern warst, kannst du meine Sicht teilen, hast du vielleicht sogar ähnliches erlebt, wie bist du damit umgegangen?
Hallo Christoph,
nachdem ich 2023 im zweiten Anlauf auf dem Camino del Norte überglücklich in Santiago angekommen bin, was ein sehr emotionales Erlebnis für mich war, hatte ich mich Mitte Mai von Porto aus auf den Portugiesischen Weg gemacht (erst entlang der Küste bis Vila do Conde, dann rüber auf den Central). Letztes Jahr war es krankheitsbedingt nicht möglich.
Dass es sicher anders laufen würde als zwei Jahre vorher, damit hatte ich schon gerechnet, aber dass trotz tollem Wetter, grandiosen Landschaften und netten Begegnungen diesmal so gar keine Begeisterung aufkommen wollte, hat mich schon enttäuscht. Vielleicht war es, weil dieser Weg kommerzieller ist, obwohl noch nicht viel los war.
Auch meine ich einen Wandel des Pilgerns zu beobachten. Die persönlichen Sachen werden von vielen (altersunabhängig) nicht mehr selbst im Rucksack getragen, sondern in z. T. großen Koffern, die auch in den Herbergen! morgens beim weggehen zum Weitertransport schon bereitstehen. Die körperliche und mentale Herausforderung des Pilgerns treten immer mehr in den Hintergrund zu Gunsten von nur Spaß haben und wenig Anstrengung.
Smartphones werden vom Hilfsmittel für Notfälle und Erinnerungen zum Selbstzweck für Social Media für die besten Likes und alleiniges Navigationsmittel auf dem Camino. Das ist gar nicht nötig, die Wege sind in der Regel fast schon unverlaufbar markiert. Ich habe mein Smartphone unterwegs immer offline, um nicht durch eingehende Nachrichten abgelenkt zu werden.
Aber was hier auch unbedingt erwähnt werden muss, ist die Enttäuschung und der Frust, wenn man verletzungsbedingt abbrechen muss, wenn es trotz Pause nicht besser wird und es vernünftiger ist aufzuhören und ein andermal weiterzugehen. So ist es mir ergangen und ich bin jetzt wieder ungeplant vorzeitig zu Hause. Nun möchte ich im kommenden September den restlichen Weg laufen.